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GenAI: ein Beschleuniger für die Supply Chain Performance?

Veröffentlicht am 13. Mai 2024

  • Daten & Künstliche Intelligenz
  • Supply Chain

Obwohl Künstliche Intelligenz (KI) als echter „Game Changer“ in der Lieferkettenindustrie gilt, wird es noch fünf bis zehn Jahren dauern, bis KI im großen Stil eingesetzt wird. Doch ChatGPT wirft diese Annahme radikal um: Unternehmen, die generative KI richtig einsetzen, haben große Chancen, ihre Ambitionen zu verwirklichen.

Künstliche Intelligenz (KI) ist im Supply Chain Management bereits eine feste Größe. 2022 nutzten 45 % der Unternehmen im Logistik- und Industriesektor mindestens eine KI-Technologie im weitesten Sinne*. Diese Tools sind auf allen Ebenen zu finden, sei es auf der Lieferantenseite, in der Produktion, im Vertrieb oder in der Planung – und schaffen einen Mehrwert, indem sie schnellere und fundiertere Entscheidungen ermöglichen.

Aufgrund ihrer Planungs- und Analysefähigkeiten eignet sich KI für datengesteuerte Branchen, die stark auf Prognosen angewiesen sind. Bereits in der Planungsphase erstellt sie detailliertere Prognosen, die sich auf oft übersehene Faktoren konzentrieren – und das in Rekordgeschwindigkeit. KI beschleunigt Produkteinführungen, überwacht Angebote und verbessert das Serviceniveau, was wiederum zu einer Maximierung der Kundenbestände führt.

In der Produktion führt sie durch die Six-Sigma-Methode zu einer Leistungssteigerung, sowohl durch die Verbesserung der Qualität der Produktionsprozesse als auch durch die Steigerung der Produktivität. KI ist auch in der Lage, Schwachstellen eines Systems zu erkennen.

*Quelle: Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Lieferkette und in Produktionsunternehmen weltweit im Jahr 2022 und 2025, Statista

Geprägt von Desillusionen

Im Bereich der Supply Chain Operations kann KI Ereignisse in Echtzeit verfolgen und potenzielle Auswirkungen auf das Netzwerk (Lieferanten, Produktion, Vertrieb und Endkunden) berechnen. KI ist in der Lage, auf Unvorhergesehenes zu reagieren, z. B. auf Überschwemmungen, die eine Produktionsausweitung an anderen Standorten erfordern.

Aufgrund ihrer gegenwärtigen und vor allem zukünftigen use cases wird KI von Supply Chain-Experten als „Game Changer“ wahrgenommen. In Wirklichkeit schreiten die Entwicklungen aber eher schleppend voran. So geht Gartner davon aus, dass die KI erst in fünf bis zehn Jahren das „Produktivitätsplateau“ ihres „Hype Cycle “* erreichen wird, d. h. den Zeitpunkt, an dem sie sich in der Branche weitgehend etabliert hat. Mit anderen Worten: Von einem flächendeckenden KI-Einsatz in jedem Unternehmen und jeder Komponente der Supply Chain sind wir noch weit entfernt.

Im Moment befindet sich laut Gartner die allgemeine KI auf dem „Gipfel der überdimensionierten Erwartungen“, während Machine Learning, bis vor kurzem noch vielversprechender Hoffnungsträger, auf am „Tiefpunkt der Ernüchterung“ angelangt ist.

*Quelle: Gartner Hype Cycle for artificial intelligence, 2023

Mangel an Data Scientists

Warum verläuft die Entwicklung dieser eigentlich bahnbrechenden Technologie so schleppend? Am Mangel an Daten liegt es nicht, im Gegenteil: Unternehmen speichern seit Jahren Daten – ein Prozess, der durch die Cloud beschleunigt wird.

Der eigentliche Stolperstein ist die Technologie selbst. Um sie im Supply Chain Management einzuführen, gibt es zwei Optionen. Erstens: Die Industrie kauft Lösungen „von der Stange“, z. B. solche, die in die Planung integriert (Advanced Planning and Scheduling – APS) oder mit der Produktion verbunden sind (Manufacturing Execution System – MES). Ein Nachteil ist, dass diese mit Einschränkungen und Begrenzungen verbunden sind. Oder zweitens: Man entwickelt ein eigenes Tool und sieht sich dann mit dem Mangel an (guten) Data Scientists auf dem Markt konfrontiert. Die Folge: Das Unternehmen muss Prioritäten setzen, was zu einer uneinheitlichen und lückenhaften Entwicklung führt.

Sprechen Sie KI? 

Der eigentliche „Game Changer“ und Wegbereiter ist in Wirklichkeit die neueste und aufmerksamkeitsstärkste Form der KI: ChatGPT und andere generative künstliche Intelligenzen (genAI), die natürliche Sprache verstehen, um Inhalte zu erstellen, und damit teilweise ohne Data Scientists auskommen.

Heute analysieren Datenexperten in Unternehmen manchmal tagelang Datensätze, um spezialisierte Systeme zu entwickeln – wohl wissend, dass es von der Idee bis zur Markteinführung oft ein langer Weg ist. In nicht allzu ferner Zukunft werden Planer, Zulieferer, Produktions- und Vertriebsleiter „nur“ noch in der Lage sein müssen, den richtigen Prompt zu verfassen, um ChatGPT zu befragen. Im Gegenzug erhalten sie schnell und direkt Lösungen auf ihre zahlreichen fachbezogenen und geschäftlichen Fragen.

Dies ist teilweise noch Zukunftsmusik, da ChatGPT derzeit noch nicht ausgereift genug ist. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die rasante Entwicklung des Tools es ermöglicht, die Supply Chain zu optimieren.

Der Erfolg hängt jedoch von mehreren Faktoren ab. Erstens: Sicherstellung der Vertraulichkeit der Daten über die klassischen Cyber Security Aspekte hinaus. Im Moment nutzt ChatGPT noch alle Daten, die es erhält. Unternehmen riskieren also, dass jeder, der die KI nutzt, alle unternehmerischen Daten preisgibt. Für Unternehmen ist es unerlässlich, ihre eigene private und souveräne GenAI zu betreiben, um Risiken im großen Stil zu vermeiden.

Ein weiterer Punkt ist, dass Anfragen gut strukturiert sein sollten, um eine relevante Antworten zu erhalten. Das bedeutet, dass die KI trainiert und angepasst werden muss, da sie ansonsten generisch und wenig kreativ sein wird. So könnte beispielsweise jedes Fachteam im Unternehmen einen Experten für Konversationssprache einstellen, der ChatGPT oder andere generative KI-Tools möglichst geschickt befragt und herausfordert.

Kontrolle von GenAI

Der letzte Aspekt dreht sich um die Qualitätssicherung der Antworten basierend auf einem Datensatz. GenAI kann mit leeren Eingaben nicht viel anfangen und füllt die Lücken mit Daten, die die KI für wahrscheinlich hält – wenn sie nicht gerade halluziniert. Unternehmen müssen Prozesse zur Validierung der Antworten einrichten, um die Ergebnisse langfristig bewerten zu können.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die derzeitigen Hürden überwunden sind. Danach dürfte sich KI schneller als erwartet in der gesamten Supply Chain etablieren. Mit Blick auf die Anforderungen von Unternehmen wird diese Technologie es ermöglichen, schneller und effizienter zu arbeiten als mit klassischen Tools wie APS oder MES. Wer heute sein Fachwissen im Bereich GenAI erweitert, erlangt einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Akteuren der Branche, die nach wie vor dem langsameren Tempo des „Hype Cycle“ folgen werden.

Verfasst von

  • Marc Dauga

    Partner – Frankreich, Paris

    Wavestone

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