Empathie-Paradox: KI im Contact Center, um Beziehung zu Kunden aufzubauen?
Veröffentlicht am 13. Mai 2024
- Customer Experience
- Daten & Künstliche Intelligenz
In der technologiegetriebenen Welt ist künstliche Intelligenz (KI) rasch zum Bestandteil des Kundenerfahrungsmanagements und des Kundenservice geworden. Auf der Suche nach effizienteren Möglichkeiten zur Handhabung von Kundenkontakten stellen sich KI-basierte Kontaktzentren als vielversprechende Lösung heraus. Wird KI Kundenservice-Mitarbeitende ersetzen und wirkliche Beziehungen zu Kunden aufbauen?
Kontaktzentren und automatisierte Aufgaben
Viele Kontaktzentren bearbeiten eine Vielzahl an sich wiederholenden Prozess- und „Regel“-basierten Aufgaben mit oftmals vorhersehbaren Nachfragemustern. In stark regulierten Branchen, wie Finanzdienstleistungen, geben Vorschriften vor, wie bestimmte Arten von Anfragen bearbeitet werden müssen. Eine solche Umgebung bietet sich für die intelligente Automatisierung von Prozessen und Selbstbedienungsaufgaben an, was die Effizienz steigern, wertvolle Kapazitäten in den Teams freisetzen und die Kundenerfahrung verbessern kann.
Aber nicht alle Anfragen sind einfach und prozessorientiert. Häufig fragen Kunden mit einem Problem oder einer komplexen Kombination von Umständen an. Sie sind z. T. besorgt oder wütend und möchten mit jemandem sprechen und sich verstanden fühlen. Dies wirft eine kritische Frage zur Effektivität von KI-Kundenkontakten auf: Kann KI im Umgang mit Kunden wirklich Empathie zeigen?
Definition von Empathie im Kontext von KI
Empathie bezeichnet im Wesentlichen die Fähigkeit, die Gefühle anderer zu verstehen und zu teilen. Dies geht über das reine Verstehen hinaus; Empathie beinhaltet emotionale Resonanz und die Fähigkeit zur angemessenen Reaktion auf die Emotionen anderer. Menschen haben die angeborene Fähigkeit zu Empathie, sie sind in der Lage, die Emotionen ihrer Mitmenschen zu verstehen und nachzuvollziehen. Das Verständnis und die Nachahmung von menschlichem Verhalten sind bei KI im Vergleich zur Tiefe und Komplexität der Kognition und des Bewusstseins von Menschen weiterhin begrenzt.
Die Grenzen von KI-Empathie
KI arbeitet nach heutigem Stand mit Algorithmen und Datenmustern. Sie kann zwar große Mengen von Informationen schnell und korrekt verarbeiten, aber ihr fehlen die emotionale Tiefe und das intuitive Verständnis, die wahrer Empathie zugrunde liegen. Dank aktueller Fortschritte bei der Verarbeitung natürlicher Sprache und der Analyse von Gefühlen ist KI in der Lage, empathische Kommunikation bis zu einem gewissen Grad nachzuahmen. KI-Chatbots können beispielsweise mit empathischen Formulierungen und Antworten programmiert werden, um eine menschenähnlichere Interaktion zu erzeugen. Durch die Erkennung von spezifischen emotionalen Hinweisen kann KI maßgeschneiderte Antworten geben, die die Gefühle der Kunden anerkennen.
Aber diese Antworten sind mechanisch und es fehlt die menschliche Verbindung, die sich Kunden häufig bei Supportanfragen wünschen, insbesondere bei emotional schwierigen oder delikaten Angelegenheiten. Diese Momente, wenn eine emotionale Verbindung aufgebaut wird, können hervorragend für die Markenwahrnehmung und eine tolle Erfahrung für die Beschäftigten sein.
Stellen Sie sich ein Kontaktzentrum vor, in dem KI die gesamte routinemäßige und sich wiederholende Arbeit übernimmt und in dem Kunden Dinge, die kein Gespräch erfordern, selbst erledigen können. Stellen Sie sich dieses Kontaktzentrum als ein energiegeladenes, zufriedenes Team voller Talent vor, das in Empathie geschult ist und seine Zeit mit komplexen, emotional anspruchsvollen und erfüllenden Gesprächen verbringt, wobei Anreize und Anerkennungen auf den Ergebnissen für die Kunden basieren.
Solche Zentren entstehen immer häufiger. Es kann inspirierend sein, wenn man beobachtet, wie echte Verbindungen zwischen Kunden und den Mitarbeitenden des Kontaktzentrums entstehen.
Ein echtes Beispiel für Empathie in Aktion und die unbezahlbare Wirkung
Wir haben einen Kunden in der globalen Finanzdienstleistungsbranche bei der Entwicklung einer stärker kundenorientierten Kultur unterstützt. Nach der Teilnahme an einer unserer Customer Experience Academies hat er eine Initiative zur Veränderung der Kunden- und Mitarbeitererfahrung entwickelt und so einen der ersten erfolgreichen (und ausgezeichneten) Ansätze zur Schaffung von magischen Momenten umgesetzt. Die Mitarbeitenden wurden ermutigt, nach der Erfüllung aller Anforderungen des Kunden und des Unternehmens kleine, kostengünstige Dinge zu tun, mit denen sie sich von der Konkurrenz abheben und dem Kunden ein gutes Gefühl vermitteln können.
In einem Fall wollte eine im Endstadium erkrankte Frau Geld von ihrem Rentenkonto abheben. Ihr Ziel war es, ihrem Sohn ein Auto zu kaufen und Fahrstunden zu bezahlen und zusammen mit ihm eine letzte Reise zu machen. Ihre Situation war unglaublich schwierig und der Anruf war sehr emotional. Die Mitarbeiterin ging hervorragend damit um und machte alles so einfach, wie es unter diesen Umständen möglich war. Die Frau war glücklich, dass sie nun ihre Pläne verwirklichen konnte und fühlte sich würde- und respektvoll behandelt.
Die Mitarbeiterin, motiviert durch die Initiative, besuchte in ihrer Mittagspause ein Reisebüro und besorgte mehrerer Reisebroschüren. In diesen ließ sie vom Reisebüro Vorschläge markieren, welche Orte die Kundin trotz ihrer durch Krankheit bedingten Mobilitätseinschränkungen besuchen könnte. Sie nutzte außerdem das im Rahmen der Initiative verfügbare kleine Budget, um ein Handy-Ladegerät für das Auto des Sohns zu kaufen. Beides schickte sie zusammen mit einer Karte mit den entsprechenden Erläuterungen an die Frau. Die Wirkung war unbezahlbar. Ich habe ganz klar in Erinnerung, wie ich mir die Aufnahme des Rückrufs der Frau angehört habe, bei dem sie sich bei der Mitarbeiterin und dem Unternehmen für die Freundlichkeit bedankt hat. Sie war in ihrer schwierigen Lage von der Freundlichkeit und Empathie, die ihr entgegengebracht wurden, vollkommen überwältigt.
Die Initiative hat Hunderte solcher Momente hervorgebracht, und auch wenn der Ansatz ungewöhnlich ist, zeigt er, was meiner Meinung nach ein möglicher Weg zur Maximierung der Leistung von Technologien wie KI zugunsten von Kunden und Mitarbeitenden ist.
Wäre KI dazu in der Lage gewesen? Ich denke nicht und das sollte sie auch nicht. Bei diesen Arten von Interaktionen werden so ziemlich alle Facetten des Menschseins und die gesamte Lebenserfahrung genutzt, um zu einem Ergebnis zu führen, das bei richtiger Umsetzung buchstäblich die Seele des Kunden und des Mitarbeitenden berührt. Diese Arten von Initiativen sind nicht die Regel, jedoch hat jedes Kontaktzentrum, das ich jemals besucht habe, jeden Tag mit komplexen und emotionalen Anrufen zu tun.
Einsatz von KI in Kontaktzentren für den richtigen Zweck
Vor diesem Hintergrund sollte KI meiner Meinung nach für Folgendes eingesetzt werden:
- Verarbeitung einfacher, monotoner und prozessgesteuerter Interaktionen mit dem Ziel, Fehler weitgehend zu eliminieren und sicherzustellen, dass die Abläufe reibungslos funktionieren (was oft nicht der Fall ist).
- Ermöglichung von fortschrittlicher Selbstbedienung bei komplexeren Aufgaben, um Kunden, die bevorzugt mit Chatbots interagieren, umfassend zu unterstützen. Dabei wird gleichzeitig versucht, auch schwierige Prozesse so einfach wie möglich zu gestalten, um den zeitlichen Aufwand und die Ressourcen zu minimieren, die sonst in technologiebasierte, wertarme Tätigkeiten fließen würden.
- Intelligente, schnelle und präzise Anrufweiterleitung, ohne dass manuell Tasten gedrückt werden müssen.
- …und wenn Menschlichkeit, Fürsorge, Mitgefühl oder Empathie einen Mehrwert bieten können, sollte man den Menschen ermöglichen, menschlich zu sein.
All dies könnten Veränderungen am Betriebsmodell, den eingesetzten Messverfahren und möglicherweise sogar der Unternehmenskultur erfordern. Die Vorteile könnten jedoch eine gesteigerte Effizienz, ein angenehmerer Arbeitsplatz und letztendlich eine verbesserte Kundenerfahrung sein.
Entwicklung des perfekten kundenorientierten Ansatzes
Mit der fortschreitenden Entwicklung der Technologie wird die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen KI-basierter Effizienz und einem menschlichen Touch von entscheidender Bedeutung. Durch den Einsatz von KI zur Rationalisierung von Routineaufgaben und die Unterstützung der Mitarbeitenden mit datengestützten Erkenntnissen können Unternehmen einen kundenorientierten Ansatz entwickeln, der Effizienz und echte Empathie verbindet. In dieser sich stetig wandelnden Landschaft sollte das Streben nach KI-Empathie immer von ethischen und menschlichen Erwägungen geleitet werden, ohne dass das Streben nach Effizienz die Bedeutung echter menschlicher Beziehungen im Kundenservice überschattet.
Verfasst von
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Neil Sharp
Partner – Vereinigtes Königreich, London
Wavestone
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