Vorbeugen statt Verlieren: Churn Management mit datenbasierten Lösungen
Veröffentlicht am 10. April 2023
- Daten & Künstliche Intelligenz
- Versicherungen

Der Wettbewerbs- und Kostendruck in der Versicherungsbranche nimmt stetig zu. Umso stärker sind Unternehmen gezwungen, sich nicht nur auf die Neukundengewinnung, sondern auch auf die Bestandskundenpflege zu konzentrieren. Dies muss mehr denn je effizient geschehen. Doch wie finden Versicherungsunternehmen heraus, welche Kunden sich zu halten lohnen? Und wie sehen konkrete Maßnahmen aus? Fortschritte in der Datenanalyse und der künstlichen Intelligenz eröffnen neue Möglichkeiten für das Churn Management, um das Thema Kundenbindung datenbasiert anzugehen und kontinuierlich zu verbessern.
Traditionelles vs. datenbasiertes Churn Management
Zunächst einmal ist es wichtig, den Unterschied zwischen traditionellem und datenbasiertem Churn Management zu verstehen. Das etablierte Churn Management arbeitet mit relativ stabilen und intern homogenen Kundenkategorien. Diese werden klassisch in einer Vier-Felder-Matrix erfasst und im Rahmen des Retention Managements entsprechend behandelt. Im Gegensatz dazu ermöglicht ein datenbasiertes Churn Management eine feingranulare Analyse und individuelle Bewertung jedes Kunden. Mithilfe fortschrittlicher Datenanalyseverfahren und Technologien können Churn Scores für jeden einzelnen Kunden ermittelt werden. Diese Scores geben Aufschluss über das individuelle Kündigungsrisiko und die einflussreichsten Faktoren. So kann der Kundenbetreuer gezielt und effektiv intervenieren, anstatt allgemeine Maßnahmen anzuwenden. Das datenbasierte Churn Management eröffnet somit neue Dimensionen der Kundenbindung und ist ein bedeutender Fortschritt gegenüber traditionellen Ansätzen.
Verschiedene Datenquellen für effektives Churn Management
Für ein effektives Churn Management ist es essenziell, Daten aus vielfältigen Quellen zu nutzen. Dabei sind sowohl interne als auch externe Daten zu berücksichtigen. Interne Daten, wie Policen- und Schadendaten, bieten Einblicke in vertragsbezogene Informationen und gemeldete Schäden. Darüber hinaus sind vorvertragliche Daten wie angefragte Deckungen und Risikodaten wertvoll. Zusätzlich ermöglichen externe Quellen, wie PSD2-Daten, Einblicke in Banktransaktionen und Kaufverhalten. Auch Umweltdaten, relevante Umweltereignisse und externe Daten von Drittparteien spielen eine wichtige Rolle. Die Kombination interner und externer Daten ermöglicht eine umfassende Sicht auf den Kunden, sowohl in Bezug auf seine Interaktionen mit dem Unternehmen als auch auf externe Aktivitäten wie die Suche nach Alternativen. Dies eröffnet die Möglichkeit, fundierte und individuelle Kundenprofile zu erstellen, was wiederum entscheidend ist, um Abwanderungsrisiken effektiv zu identifizieren und anzugehen. Eine Beschränkung der Analyse auf interne Daten führt daher häufig zu unvollständigen Erkenntnissen und lässt potenzielle Kündigungsrisiken außer Acht.

Erläuterung der Datenarten:
- Policen-Daten: Vertragsbezogene Daten, z. B. Laufzeit, Deckungen
- Schaden-Daten: Auf gemeldete Schäden bezogene Daten, z. B. Schadenhöhe, Bearbeitungszeit
- Anfrage-Daten: Vorvertragliche Daten, z. B. angefragte Deckungen, Risikodaten
- PSD2-Daten: Abfragbare Bankdaten gemäß der PSD2-Richtline, z. B. Kaufdaten
- Umweltereignisse: Für die Bedürfnisse des Kunden relevante Umweltereignisse, z. B. Überflutungen
- Aggregator-Daten: Externe Daten von Drittparteien, z. B. Datenmarktplätze
Externe Datenquellen im Fokus
Neben dem eigenen Data Warehouse gewinnt im Customer Churn Management vor allem die Nutzung externer Datenquellen an Bedeutung. Diese Quellen ermöglichen eine erweiterte Sicht auf den Kunden und seine Beziehung zum Unternehmen. Eine kundenbasierte Analyse erfordert die Berücksichtigung aller Plattformen und Interaktionskanäle, über die der Kunde mit dem Unternehmen oder seinen Wettbewerbern in Kontakt tritt. Gleichzeitig ist es ebenso wichtig, eine produktbasierte Analyse durchzuführen, die nicht nur die eigenen Produkte betrachtet, die eine Kündigung auslösen könnten, sondern zusätzlich auch alternative Produkte der Wettbewerber mit einbezieht.
Wertvolle kontextbezogene Interaktionsdaten
Die Integration kontextbezogener Interaktionsdaten stellt einen weiteren Schritt zur Optimierung der Kundenabwanderungsprognose im Customer Churn Management dar. Diese Daten erweitern das Verständnis der zeitlichen Entwicklung, indem sie Informationen über die Häufigkeit und den Grund von Kundeninteraktionen liefern. Es ist bekannt, dass die Art der Kundeninteraktion einen erheblichen Einfluss auf die Einschätzung des Kündigungsrisikos hat, z. B. bei Beschwerden. Neben der Analyse der Art der Interaktion erlauben datengetriebene Verfahren auch die Ableitung von Stimmungen und Emotionen aus Gesprächen und Korrespondenzen. Dadurch kann diese Dimension in die Bewertung des Kündigungsrisikos einbezogen werden, was zu einer genaueren und umfassenderen Prognose beiträgt.
Unangenehme Kontaktpunkte nutzen
Häufig liegt der Fokus des Churn Managements auf der Auswertung positiver Interaktionen wie z. B. Kundenanfragen und Zusatzabdeckungen, weniger jedoch auf der in der Versicherungswirtschaft oft unvermeidlichen Interaktion der Schadenmeldung. Die Wirksamkeit der diesbezüglichen Kontakte und Interventionen kann durch die Einführung eines datenbasierten Churn Managements auch quantitativ bewertet werden, da nicht nur die Prämien, sondern auch die tatsächlichen und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Auszahlungen im Schadenfall berücksichtigt werden können. Aber auch ein schlechtes Schadenmanagement oder eine mangelnde Unterstützung in solchen Situationen können sich auf das individuelle Kündigungsrisiko auswirken. Die Einbeziehung dieser Form der Kundeninteraktion in das Datenmodell ist daher für eine individuelle Betrachtung unabdingbar und ermöglicht wiederum ein individuelles Churn Management in der Verantwortung des Vertriebs und keinen Schubladenansatz. Churn Management wird damit zu einem wertvollen und integralen Bestandteil der proaktiven Gestaltung der Kundenbeziehung.
Vom Triggerevent zur vertrieblichen Intervention
Die Analyse und Vorhersage von auslösenden Ereignissen – sogenannten Triggern – im Verlauf der Kundenbeziehung ist eine weitere Facette, die das datengetriebene Customer Churn Management bereichert. Ereignisse wie der Abschluss einer Ausbildung oder ein Umzug können erheblichen Einfluss auf das Kundenverhalten haben und somit als Vorboten einer möglichen Abwanderung dienen. Die Integration von PSD-2-Daten, die Einblicke in Transaktionen und finanzielle Aktivitäten geben, verstärkt diese Vorhersagen zusätzlich. So kann zum Beispiel eine Lastschrift in einem Brautmodengeschäft frühzeitig auf sich ändernde Lebensumstände hinweisen, die möglicherweise zu einem veränderten Versicherungsbedarf führen. Die Nutzung dieser Informationen ermöglicht nicht nur präzisere Churn-Prognosen, sondern trägt auch zur datengetriebenen Berechnung des Customer Lifetime Value bei. Dabei sind alle regulatorischen Anforderungen wie z. B. der Datenschutz zu beachten. Diese stehen dem Einsatz datengetriebener Methoden nicht kategorisch entgegen, sondern gewährleisten ein hohes Maß an Integrität und Sicherheit für alle Beteiligten.
Chancen für den Vertrieb
Der Vertrieb ist einer der größten Kostentreiber in Versicherungsunternehmen. Entsprechend wichtig ist es, ihn effizient einzusetzen. Datenbasiertes Churn Management hilft dabei: Prädiktion von Churn ermöglicht zielgerichtete und maßgeschneiderte Interventionen beim Kunden anstelle des Gießkannenansatzes oder der Intuition des Vermittlers. Ebenso sind kosteneffiziente Post-Interventionsanalysen möglich, so dass die Effizienz im After-Sales kontinuierlich gesteigert werden kann.
Was steht einer Datenintegration im Weg?
Bei der Integration externer Datenquellen für ein datenbasiertes Churn Management stoßen Unternehmen auf Hindernisse. Eines dieser Hindernisse ist der Mangel an spezifischem Know-how und technischen Fähigkeiten, um diese Daten effektiv zu integrieren und auszuwerten. Zudem können die heterogene Natur dieser Daten und ihre unterschiedlichen Formate die Integration erschweren, insbesondere in Organisationen mit einer bereits komplexen Dateninfrastruktur. Um diese Herausforderungen zu überwinden, ist ein strategisches Engagement der Managementebene erforderlich, um die nötigen Fähigkeiten aufzubauen. Auch das Einbeziehen externer Expertise kann hier zielführend sein. Zudem ist eine zentral koordinierte Steuerung und unternehmensweite Data Governance entscheidend, um die Integration effizient und reibungslos zu gestalten. Oft sind die Daten im Unternehmen verstreut, die Verantwortlichkeiten unklar oder die Beteiligten stehen nicht im kontinuierlichen Austausch.
Daten sind der Schlüsselfaktor für die Hyperpersonalisierung
Die Zukunftsfähigkeit von Versicherern hängt von einem individuellen, datengetriebenen Ansatz im Customer Churn Management ab. Kunden erwarten personalisierte Lösungen und schnellen Service. Die Herausforderung für Versicherer besteht darin, interne und externe Datenquellen zu integrieren, um ein umfassendes und individuelles Kundenprofil zu erstellen. Denn Kundenabwanderung kann sich in unterschiedlichen Interaktionen und Aktivitäten manifestieren. Eine breite Datenbasis ist daher erfolgsentscheidend. Moderne Technologien aus den Bereichen Data Science und Machine Learning ermöglichen gezielte Interventionen und Erfolgskontrollen. Insgesamt wird datengetriebenes Churn Management so zum Schlüssel für den langfristigen Erfolg von Versicherern.