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TAF/TAP-TSI: Der digitale Entwicklungssprung für europäische Bahnunternehmen

Veröffentlicht am 17. Dezember 2025

  • Reisen, Transport & Logistik
  • Strategie & Transformation
Aerial view of a European city with modern transport routes – symbolizing digital connectivity and interoperability in the rail sector through TAF/TAP-TSI.

In Kürze

  1. TAF/TAP-TSI ist mehr als eine technische Vorschrift – Es geht um eine tiefgreifende Veränderung in der Planung, Trassenbestellung, Disposition und Kommunikation zwischen den EVU und EIU wie auch zwischen den verschiedenen EVU entlang gesamten betrieblichen Prozesskette.
  2. Erfolgreiche Umsetzung erfordert strategisches Change Management – Ohne klare Governance und die Einbindung der Mitarbeitenden drohen fragmentierte Systemlandschaften und Widerstände.
  3. Die Digitalisierung als Chance begreifen – Wer TAF/TAP-TSI nicht nur umsetzt, sondern aktiv in seine Strategie integriert, kann langfristig Effizienzgewinne und Wettbewerbsvorteile für das eigene Unternehmen und die Branche als Ganzes erzielen.

 

TAF/TAP-TSI als Katalysator des digitalen Wandels in der europäischen Bahnbranche

Die europäische Bahnbranche steht vor einem fundamentalen Wandel: Mit den technischen Spezifikationen für Interoperabilität (TSI) (öffnet in einem neuen Tab) im Bereich Telematikanwendungen – TAF TSI für den Güterverkehr und TAP TSI für den Personenverkehr – hat die Europäische Union verbindliche Standards etabliert, die den digitalen Austausch von Daten zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) sowie die Kommunikation zwischen verschiedenen EVU grundlegend verändern werden. Diese gelten auch für assoziierte Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz.

Nach Einschätzung von Wavestone bedeutet diese regulatorisch initiierte Transformation zwar eine beachtliche technische Herausforderung, eröffnet den Bahnunternehmen jedoch zugleich eine einmalige strategische Chance: Sie können ihre digitale Leistungsfähigkeit und Effizienz nachhaltig steigern und ihre Wettbewerbsposition im europäischen Verkehrsmarkt entscheidend stärken. Die Umsetzung der TAF/TAP-TSI ist somit nicht nur eine Pflicht für alle Bahnunternehmen, sondern auch ein Schlüssel zur erfolgreichen und zukunftsorientierten Weiterentwicklung der Branche.

Hintergrund: Was ist TAF/TAP-TSI?

Kurz zusammengefasst: TAF/TAP-TSI steht für „Telematics Applications for Freight and Passenger Services – Technical Specifications for Interoperability“ und beschreibt die neue gemeinsame Sprache im europäischen Bahnverkehr. Konkret regelt die Spezifikation, wie Informationen zu Trassen, Zügen, Fahrplänen, Störungen und weiteren betrieblichen Aspekten zwischen EVU und EIU ausgetauscht werden – digital, standardisiert und grenzüberschreitend.

Die EU verfolgt damit mehrere Ziele:

  • Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Schiene gegenüber anderen Verkehrsträgern
  • Förderung der Digitalisierung im Bahnsektor
  • Vereinfachung der grenzüberschreitenden Angebotsplanung und Fahrplangestaltung
  • Verbesserung der betrieblichen Durchführung durch Echtzeitdaten und standardisierte Meldungen

Vorteile: Effizienz, Transparenz und Interoperabilität mit TAF/TAP-TSI für europäische Bahnunternehmen

Einheitliche Kommunikation und Datenqualität

Ein wesentlicher Vorteil der TAF/TAP-TSI besteht in der konsequenten Standardisierung der Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren im europäischen Bahnverkehr. Einheitliche Nachrichtenformate, Datenschemata, Identifier und digitale Schnittstellen sorgen dafür, dass Informationen zu Trassen, Zügen, Fahrplänen und Störungen durchgängig in hoher Datenqualität und in Echtzeit ausgetauscht werden können – und das im Idealfall vollkommen medienbruchfrei –und schafft die Voraussetzung für eine transparente, nachvollziehbare und zuverlässige betriebliche Kommunikation über alle Stufen der Wertschöpfungskette hinweg und bildet damit das Fundament für effiziente und fehlerarme Abläufe im internationalen Bahnverkehr.

Für EVUs bedeutet dies konkret:

  • Reduzierung manueller Schnittstellen
  • Minimierung von Übertragungs- und Zuordnungsfehlern
  • Erhöhte Transparenz in der Kommunikation mit Infrastrukturbetreibern und anderen EVUs

Experten schätzen, dass durch die Eliminierung manueller Eingaben in der Disposition und die verbesserte Datenqualität die Fehlerquote im internationalen Zuglauf um bis zu 30 % gesenkt werden kann.

Quelle: EU-Agentur für Eisenbahnen (ERA)

Grenzüberschreitende Interoperabilität

Die Harmonisierung von Prozessen und Datenformaten durch TAF/TAP-TSI ebnet den Weg für eine nahtlose grenzüberschreitende Verkehrsplanung, Fahrplangestaltung und Betrieb – frei von technischen oder organisatorischen Hindernissen. Bahnunternehmen profitieren dadurch von einer deutlich vereinfachten Abstimmung mit internationalen Partnern und Infrastrukturbetreibern. Insbesondere für Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVUs), die im internationalen Geschäft tätig sind, stellt TAF/TAP-TSI folglich einen entscheidenden Meilenstein dar: Es ermöglicht die Schaffung eines integrierten europäischen Bahnmarkts und die Bereitstellung eines durchgängigen, attraktiven Angebots für Kunden und Partner.

Erfolgsgeschichte: Ein großer europäischer Güterverkehrsbetreiber konnte nach der vollständigen TAF-Implementierung die durchschnittliche Zeit für die Trassenbestellung im grenzüberschreitenden Verkehr um 48 Stunden reduzieren und seine Pünktlichkeit auf kritischen Korridoren um 2 Prozentpunkte steigern.

Quelle: RailNetEurope (RNE)

Automatisierung und Prozessoptimierung

Die Einführung neuer Identifier wie Company Code, TrainID und PathID ermöglicht eine präzise und eindeutige Zuordnung von Zügen und Trassen, was insbesondere bei grenzüberschreitenden sowie mehrtägigen Fahrten erhebliche Vorteile bietet. In Verbindung mit modernen, digitalen Schnittstellen lassen sich dadurch zahlreiche Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette automatisieren – angefangen bei der Trassenanmeldung über die operative Disposition und das Abweichungsmanagement bis hin zur digitalen Störungsmeldung. Durch die Automatisierung und Standardisierung dieser Abläufe wird der manuelle Aufwand signifikant reduziert, Fehlerquellen werden minimiert und die betriebliche Effizienz sowie die Zuverlässigkeit im internationalen Bahnverkehr nachhaltig gesteigert.

Wettbewerbsvorteile durch digitale Transformation

Unternehmen, die TAF/TAP-TSI nicht ausschließlich als regulatorische Vorgabe begreifen, sondern gezielt in ihre Digitalisierungsstrategie integrieren, verschaffen sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Die Standardisierung bildet die Basis für ein stabiles, kosteneffizientes und kundenorientiertes Leistungsangebot – etwa durch die Nutzung der einheitlichen Echtzeitinformationen für eine erhöhte Reaktionsfähigkeit in Planung und Betrieb. Wer frühzeitig in die Modernisierung und Neuausrichtung der IT-Infrastruktur investiert, profitiert von spürbaren Effizienzsteigerungen und kann seine Marktposition langfristig festigen.

Herausforderungen: Komplexität, Integration und Change Management  

Die Umsetzung der TAF/TAP-TSI erfordert umfassende Eingriffe in die bestehende IT-Landschaft der Bahnunternehmen. Betriebsrelevante Systeme entlang der gesamten Prozesskette müssen entweder tiefgreifend angepasst oder in Teilen sogar vollständig neu entwickelt werden, um die neuen Datenformate und Identifier zuverlässig verarbeiten zu können. Die technische Integration gestaltet sich dabei äußerst komplex und setzt eine enge, kontinuierliche Abstimmung zwischen den Fachbereichen, der IT, Lieferanten und zwischen den beteiligten Akteuren (EIU und EVU) voraus.

Zusätzliche Herausforderungen für EVU entstehen dadurch,

  • dass die Einführung von TAF/TAP-TSI durch die verschiedenen Infrastrukturbetreibenden nicht zeitgleich erfolgt,
  • die kommunizierten Einführungszeitpunkte teilweise um mehrere Jahre verschoben werden
  • und das Mithilfe sogenannter National Specific Parameters (NSP) jeder Staat gewisse Abweichungen vom Standard definieren kann.

Trotz Standardisierung sind also zahlreiche nationale Besonderheiten zu berücksichtigen und Alt- und Neusysteme müssen teilweise über mehrere Jahre parallel betrieben oder für eine unsichere Zeitspanne alternative Übergangslösungen implementiert werden.

Fazit: Digitalisierung als strategische Chance nutzen

TAF/TAP-TSI ist weit mehr als eine bloße technische Spezifikation – sie fungiert als strategischer Motor für die digitale Transformation des europäischen Bahnsektors. Die daraus resultierenden Vorteile sind vielschichtig: Sie reichen von gesteigerter Effizienz und verbesserter Datenqualität über eine reibungslose, grenzüberschreitende Interoperabilität bis hin zu neuen Möglichkeiten der Automatisierung. Gleichzeitig dürfen die Herausforderungen nicht unterschätzt werden: Neben erheblicher technischer Komplexität stehen auch tiefgreifende organisatorische Veränderungen und ein hoher Abstimmungsbedarf im Fokus.

Nach Einschätzung von Wavestone liegt der Schlüssel zum Erfolg in einem ganzheitlichen Ansatz.

Entscheidend ist, dass alle Eisenbahninfrastrukturunternehmen den Standard zügig, konsequent und vollumfänglich umsetzen – und dabei nationale Sonderwege und -Spezifika auf ein Minimum beschränken.

Bahnverkehrsunternehmen sollten die regulatorischen Vorgaben nicht isoliert betrachten, sondern als integralen Bestandteil ihrer Digitalisierungsstrategie verstehen. Durch eine klare Governance-Struktur, ein wirkungsvolles Change Management und eine zukunftsfähige IT-Architektur können sie die TAF/TAP-TSI nicht nur umsetzen, sondern den Wandel aktiv mitgestalten – und so ihre Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Bahnmarkt langfristig sichern und ausbauen.

Die konsequente Umsetzung der TAF/TAP-TSI wird in den kommenden fünf Jahren voraussichtlich zu einer Reduktion der operativen Kosten für den Datenaustausch im europäischen Güterverkehr von durchschnittlich 15 % führen und die Attraktivität der Schiene als klimafreundlicher Verkehrsträger stärken.

Quelle: UIC (Internationaler Eisenbahnverband) und Joint Sector Group (JSG)

Autor

  • Tobias-Bowald

    Tobias Bowald

    Manager – Schweiz, Bern

    Wavestone

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  • Guido Becker

    Guido Becker

    Managing Consultant – Deutschland, München

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